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Beschäftigung trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Einen noch krankgeschriebenen Arbeitnehmer darf ich doch gar nicht beschäftigen, oder?

Es treten vermehrt die Fälle auf, in denen ein laut Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch arbeitsunfähiger Arbeitnehmer plötzlich doch arbeiten möchte, weil er z. B. im Anschluss an seine vermeintliche Genesung erst einmal seinen Alt-Urlaub antreten will. 

Dann herrscht auf Arbeitgeberseite zumeist Ratlosigkeit.

Als erste Reaktion würden sicher die meisten Arbeitgeber sagen: „Arbeiten? Nein! Sie sind noch krankgeschrieben, ich darf Sie gar nicht arbeiten lassen! Da müssen Sie mir erst eine Bestätigung des Arztes bringen, dass Sie schon wieder gesund sind.“

Aber stimmt das so? Bei näherer Betrachtung ist es gar nicht so ganz einfach und wie so oft vom Einzelfall abhängig.

Allgemeines

Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank, muss er grundsätzlich nicht arbeiten. Ist er jedoch vor dem in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung festgelegten Endzeitpunkt wieder arbeitsfähig, ist er verpflichtet sich unverzüglich beim Arbeitgeber zurückzumelden und seine Arbeitsleistung anzubieten bzw. seine Arbeitstätigkeit wieder aufzunehmen. 

Entgegen der landläufigen Meinung steht die für einen längeren Zeitraum ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Arbeitsaufnahme nicht entgegen.

Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit beweisen. Sie ist eine Urkunde, mit der der Arzt die Arbeitsunfähigkeit, sowie deren voraussichtliche Dauer bescheinigt. Allerdings gibt sie in der Regel nur eine Vermutung des Arztes hinsichtlich der Dauer des Genesungsprozesses wieder. Der Arbeitnehmer selbst kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entkräften, indem er seine Arbeitsleitung anbietet. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird dadurch wirkungslos. Er braucht keine Bestätigung des Arztes über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Eine „ärztliche Gesundschreibung“, „Arbeitsfähigkeitsbescheinigung“ o. ä. gibt es nämlich nicht.

Arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht

Allerdings trifft den Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht. Er ist gehalten, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen seiner Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Die angebotene Arbeitsleistung eines ganz offensichtlich arbeitsunfähigen Arbeitnehmers sollte er daher nicht annehmen. Durch die Arbeitsaufnahme kann der erkrankte Arbeitnehmer möglicherweise seinen Genesungsprozess gefährden, die Krankheit kann sich verschlimmern oder es besteht ein erhöhtes Arbeitsunfallrisiko. Zudem muss der Arbeitgeber auch die Interessen seiner anderen Arbeitnehmer und die von Leiharbeitnehmern oder im Betrieb tätigen Dritten schützen, so z. B. wenn die Gefahr einer Ansteckung besteht.

Vergütungsanspruch

Was ist nun aber mit dem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers? Er selbst hält sich für genesen und bietet seine Arbeitskraft an. Allerdings wird er vom Arbeitgeber weggeschickt, weil dieser ihn für arbeitsunfähig hält und kein Risiko eingehen möchte. 

Für Zeiten, in denen an sich noch Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, also in der Regel in den ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit, ist dies nicht relevant, da der Arbeitgeber ohnehin noch zahlt. Bedeutsam ist die Frage in den Fällen, in denen der Entgeltfortzahlungszeitraum bereits endete.

Hier ist zwischen objektiver Arbeitsunfähigkeit und objektiver Arbeitsfähigkeit zu unterscheiden.

Objektive Arbeitsunfähigkeit

Bei objektiver Arbeitsunfähigkeit könnte sich ein Vergütungsanspruch aus einem Annahmeverzug des Arbeitgebers ergeben. Der Arbeitgeber gerät in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Leistung am rechten Ort, zur rechten Zeit und in rechter Weise anbietet und der Arbeitnehmer leistungsfähig (hier also arbeitsfähig) ist.

Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig und somit nicht leistungsfähig, gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug.

Entscheidend sind die objektiv vorliegenden Umstände. Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitgebers objektiv außerstande, die Arbeit wieder aufzunehmen, kann das fehlende Leistungsvermögen nicht allein durch die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers, er sei wieder arbeitsfähig, ersetzt werden.

Beruft sich der Arbeitnehmer darauf, auch nach objektiven Maßstäben arbeitsfähig zu sein, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Dazu reicht es zunächst aus, dass er sich auf Indizien beruft, die auf eine Arbeitsunfähigkeit hindeuten. So kann er sich z. B. auf eine noch laufende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung berufen. Hat sich der Arbeitgeber auf solche Indizien berufen, muss der Arbeitnehmer die Indizwirkung erschüttern (z. B. Entbindung seines Arztes von der Schweigepflicht, damit dieser die Arbeitsfähigkeit bestätigt).

In Ausnahmefällen kann dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar sein, was einen Annahmeverzug und daraus folgend eine Vergütungspflicht ebenfalls ausschließen kann. Dies kann der Fall sein, wenn die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu einer massiven Gefährdung von Rechtsgütern des Arbeitgebers oder von Dritten führen würde, deren Schutz vorrangig vor den Interessen des Arbeitnehmers an der Fortzahlung der Vergütung zu behandeln ist.

Wenn also Dritte durch die Beschäftigung des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise gefährdet sind, ohne dass durch geeignete Vorsorge und Schutzmaßnahmen diese Gefährdung vom Arbeitgeber beeinflusst und vermindert werden kann, ist dem Arbeitgeber die Beschäftigung unzumutbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn auch der Arbeitnehmer die von ihm ausgehende Gefährdung nicht beeinflussen kann. 

Objektive Arbeitsfähigkeit

Bei objektiver Arbeitsfähigkeit liegt die Sache anders. Hier gerät der Arbeitgeber grundsätzlich in Annahmeverzug, wenn er das Arbeitsangebot des arbeitsfähigen Arbeitnehmers ablehnt. Dies ist sogar dann so, wenn Zweifel an der Arbeitsfähigkeit bestanden haben und diese erst später ausgeräumt werden konnten. 

Tipp

Der Arbeitgeber steckt also in der Klemme. Meist wird er gar nicht erkennen können, ob der Arbeitnehmer objektiv arbeitsunfähig ist oder eben nicht. Es ist ihm rechtlich auch nicht möglich, von dem Arbeitnehmer eine ärztliche Erklärung über seine Genesung zu verlangen. Im Fall der objektiven Arbeitsfähigkeit ist er daher immer der Gefahr des Annahmeverzuges ausgesetzt, sofern er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt.

Aus dieser Klemme kommen Sie nur heraus, wenn Sie aufmerksam bleiben. Schauen Sie sich den Arbeitnehmer genau an und betrachten Sie die Begleitumstände des Falles (z. B. wäre der Arbeitsunfähigkeitszeitraum ohnehin fast beendet, ist Ihnen bekannt, dass eine ansteckende Krankheit die Ursache war etc.). Im Zweifel sollten Sie eher das wirtschaftliche Risiko einer Vergütungszahlung als das der Gefährdung des betroffenen Arbeitnehmers selbst oder Dritter tragen.

Dirk Helge Laskawy

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht,

Mediator (Universität Bielefeld), Partner,

Zertifizierter Datenschutzbeauftragter (TÜV)

 

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