Das Kartellrecht gilt auch auf dem Arbeitnehmermarkt – ein Thema, welches in Zeiten des Fachkräftemangels an Brisanz gewinnt. Denn Arbeitgeber befinden sich im ständigen Wettbewerb um Arbeitnehmer. Abwerbeverbote oder ähnliche Vereinbarungen beschränken den freien Wettbewerb um die Arbeitnehmer. Bei einem Abwerbeverbot (engl. „No Poaching“-Agreement) einigen sich die Arbeitgeber, wechselseitig die Arbeitnehmer des Vertragspartners weder abzuwerben noch einzustellen. Seit jeher gibt es unterschiedliche Formen von „No Poaching“-Vereinbarungen. Bei sogenannten „No Hire“-Vereinbarungen verpflichten sich die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer der Vertragspartei weder aktiv abzuwerben noch passiv einzustellen; denkbar sind sowohl schriftliche Vereinbarungen wie auch mündliche, informelle Übereinkünfte („Gentlemen‘s Agreement“). Im Falle des Verbots der Kaltakquise („No Cold-Calling“) wird vereinbart, dass zumindest die Arbeitnehmer nicht initiativ auf ein Stellenangebot angesprochen werden.
Trotz der kartellrechtlichen Relevanz wurden die Arbeitsmärkte von den europäischen und deutschen Kartellbehörden bisher eher stiefmütterlich behandelt.
Neuere Entwicklungen deuten nun auf einen Richtungswechsel hin. Wie die jüngste Praxis der Europäischen Kommission zeigt, rücken Verhaltensweisen auf den Arbeitsmärkten vermehrt in den Fokus des Kartellrechts. Die Kommission will nun konsequent gegen Abwerbeverbote oder ähnliche, den Personalmarkt beschränkende Vereinbarungen vorgehen.
Erstes Kartellrechtsverfahren wegen Abwerbeverboten
Die Europäische Kommission hat im November 2023 die Räumlichkeiten der weltweit tätigen Lebensmittel-Lieferdienste Delivery Hero und Glovo u.a. wegen angeblicher wettbewerbswidriger Abwerbeverbote unangekündigt durchsucht (sogenannter „Dawn Raid“).
Am 23.07.2024 gab die Kommission bekannt, ein förmliches Kartellrechtsverfahren gegen Delivery Hero und Glovo eingeleitet zu haben. Der Verdacht: Die beiden Unternehmen könnten die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung getroffen haben, keine Arbeitnehmer voneinander abzuwerben.
Rechtsauffassung der Kommission
Die Einordnung von Abwerbeverboten als kartellrechtlich unzulässig hat die Europäische Kommission in einem „Policy Brief“ aus Mai 2024 bekräftigt. Darin stellt sie sich auf den Standpunkt, dass Abwerbeverzichtsvereinbarungen regelmäßig unter das Kartellverbot nach Art. 101 AEUV fallen. „No Poaching“-Vereinbarungen sollen sich schädlich auf den Arbeitsmarkt auswirken. Nach der Auffassung der Kommission werden die Gehälter von Arbeitnehmern durch beide Formen derartiger Abwerbeverzichtsvereinbarungen („No Hire“ und „No Cold-Calling“) künstlich auf einem niedrigen Niveau gehalten. Nicht nur werden die Arbeitnehmer individuell geschädigt. Auch volkswirtschaftlich wird eine effiziente Allokation des „Humankapitals“ eingeschränkt. Denn besonders leistungsfähige Arbeitnehmer entscheiden sich in einem freien Wettbewerb regelmäßig dazu, zu produktiveren Unternehmen zu wechseln.
Nach der Europäischen Kommission sollen derartige Abreden stets die Beeinträchtigung des Wettbewerbs bezwecken, weil diese „ihrer Natur nach“ als wettbewerbsschädlich einzustufen sein. Damit wird eine „spürbare“ Beeinträchtigung des Wettbewerbs angenommen, ohne dass die konkreten wettbewerbsschädlichen Auswirkungen nachgewiesen werden müssen.
„No Poaching“-Abreden können ausnahmsweise zulässig sein. Hier gelten nach Auffassung der Kommission jedoch sehr hohe Anforderungen. Insbesondere muss die „No Poaching“-Abrede für einen kartellrechtsneutralen Zweck (einen Unternehmenskauf, ein Gemeinschaftsunternehmen oder eine andere Kooperationsform) absolut notwendig sein, sodass es unmöglich wäre, den Vertrag oder die Zusammenarbeit ohne das Abwerbeverbot durchzuführen.
Mögliche Sanktionen für Unternehmen
Unternehmen, die an „No Poaching“-Absprachen beteiligt sind, müssen mit erheblichen Sanktionen rechnen:
- Bußgelder: In der EU und Deutschland können Unternehmen mit Bußgeldern von bis zu 10 % des weltweiten Konzernjahresumsatzes sanktioniert werden.
- Schadensersatzklagen: Betroffene Mitarbeiter können klagen, wenn sie durch eine solche Absprache finanzielle Nachteile erlitten haben.
- Reputationsverlust: Die öffentliche Wahrnehmung von Unternehmen, die sich an wettbewerbswidrigen Absprachen beteiligen, kann erheblichen Schaden nehmen.
Weitere Kartellrechtsverstöße auf dem Arbeitsmarkt denkbar
Nicht nur bei Abwerbeverboten ist Vorsicht geboten. Auch Absprachen zwischen Arbeitgebern bei denen Obergrenzen für die Gehälter der Arbeitnehmer festgelegt oder „Corporate Benefits“ ausgeschlossen werden, sind kartellrechtlich untersagt (engl. „wage-fixing“). Wieso dies für den Wettbewerb auf den Personalmärkten schädlich ist, liegt auf der Hand.
Weniger offensichtlich ist für Arbeitgeber, dass schon der bloße Informationsaustausch kartellrechtliche Tücken birgt. Tauschen sich Arbeitgeber beispielsweise über die Gehälter aus, die sie ihren Mitarbeitern zahlen, kann dies auch ohne klare Vereinbarung zu niedrigeren Gehältern führen. Wenn der Geheimwettbewerb durch den Informationsaustausch ausgeschaltet wird, kommt es schnell dazu, dass das Verhalten angepasst wird.
Fazit
Den klaren Worten zu Abwerbeverboten hat die Kommission nun Taten folgen lassen. Die neueste Entwicklung zeigt, dass es fahrlässig wäre, kartellrechtliche Vorgaben auf den Personalmärkten zu ignorieren. Bei der Vertragsgestaltung etwa eines Unternehmenskaufvertrags oder eines Gemeinschaftsunternehmens sollte mit Blick auf Bestimmungen, die Arbeitnehmer betreffen, auch das Kartellrecht genau geprüft werden. Auch sollten Unternehmen davon absehen, sich über Gehälter ihrer Mitarbeiter auszutauschen.