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Vorsicht bei vertikalen Preisbindungen!

Aktuelle Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamts unterstreicht kartellrechtliche Bedeutung

Im Geschäftsleben gibt es einen vorherrschenden kaufmännischen Leitsatz: „Der Kunde ist König!“ Doch was passiert, wenn der Kunde nicht von freien Wettbewerbspreisen der Händler profitieren kann, sondern der Hersteller den Händlern den Endverbraucherpreis flächendeckend vorgibt?!

Häufig denken kartellrechtlich ungeschulte Personen beim Kartellrecht an horizontale Kartelle, also Vereinbarungen, Absprachen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen auf derselben Wettbewerbsstufe wie etwa an eine Preisabsprache oder eine Gebietsaufteilung.

Was allerdings oftmals unberücksichtigt bleibt: Das deutsche und europäische Kartellverbot erfasst nicht nur wettbewerbsbeschränkende Absprachen auf horizontaler Ebene, sondern auch solche im Vertikalverhältnis, also in Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen. Dem Kartellverbot unterfallen im Vertikalverhältnis sowohl sogenannte vertikale Preisbindungen (auch Preisbindungsverbot zweiter Hand genannt) als auch sonstige abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, eine derartige Bindungswirkung rein faktisch herbeizuführen.

Aktuell ist es für Unternehmen wichtiger denn je, sich mit dem Verbot der Preisbindung zweiter Hand zu beschäftigen! Die Aktualität des Preisbindungsverbots zeigt sich durch eine jüngste Entscheidung des Bundeskartellamtes vom 13. März 2024. In dieser hatte das Bundeskartellamt gegen den Hersteller von Arbeits- und Schutzbekleidung Pfanner aus Österreich eine Geldbuße in Höhe von 783.900 Euro wegen vertikaler Preisbindung verhängt. Der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt äußerte sich zum Fall wie folgt: „Unverbindliche Preisempfehlungen sind erlaubt, aber Händler müssen ihre Preise unabhängig und frei von Vorgaben des Herstellers festsetzen können. Vertikale Preisbindungen wie die im vorliegenden Fall gehen in aller Regel zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher und führen häufig dazu, dass diese überhöhte Preise zahlen müssen. Das Bundeskartellamt verfolgt solche Praktiken, die schon seit Anfang der 1970er Jahre verboten sind, konsequent.“

All dies ist Grund genug, sich näher mit dem Verbot vertikaler Preisbindungen zu beschäftigen. Aber was versteht das Bundeskartellamt überhaupt unter vertikalen Preisbindungen? Bei einer Preisbindung zweiter Hand werden dem Abnehmer (die „zweite Hand“) durch den Lieferanten (die „erste Hand“) Preisvorgaben beim Weiterverkauf der Produkte oder Dienstleistungen gemacht. Insofern kann der aktuelle Pfanner-Fall als Beispiel dienen:

Hersteller A, der ein beliebtes hochwertiges Markenprodukt in Form von beruflicher Schutzkleidung wie Helmen, Schutzanzügen oder Brillen produziert und vertreibt, untersagt es dem Händler B, der dieses Markenprodukt erfolgreich in seinen (stationären) Läden anbietet, dieses unterhalb eines gewissen Preises – z.B. in Form eines Dauerrabattes – an seine Endkunden zu vertreiben. Denkbar sollen allenfalls Naturalrabatte sein, wie beispielsweise die kostenlose Hinzugabe einer Schutzbrille oder eines T-Shirts zum Kauf eines teureren Produktes. Händler B willigt ein, weil er befürchtet, ansonsten vom Hersteller A durch einen Lieferstopp oder sonstige ungünstige Lieferbedingungen sanktioniert zu werden. Vielleicht untersagt Hersteller A nicht nur Händler B eine derartige Vorgehensweise, sondern auch Händler C und D und vielleicht vertraut Hersteller A nicht auf die Treue seiner Geschäftspartner, sondern lässt diese sogar durch ein umfassendes Monitoring und Testkäufer überwachen.

Was wäre nun der Effekt einer derartigen Preisbindung? Der Preiswettbewerb zwischen Händler B, C und D wäre faktisch beschränkt oder in Teilen sogar gänzlich aufgehoben. Die Chance des Kunden, dass er infolge des freien Wettbewerbs von einem besonders günstigen Angebot profitiert, wäre ausgeschlossen. Ein Verstoß gegen den Sinn und Zweck des Kartellverbots par excellence könnte man sagen. So hat auch der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass durch die Beseitigung des Preiswettbewerbs auf der Händlerstufe erfahrungsgemäß auch der Herstellerwettbewerb verringert wird. Zudem fördere die künstliche Preistransparenz auch horizontale Absprachen zwischen den Händlern [EuGH – C-211/22, ECLI:EU:C:2023:529 – Super Bock Bebidas; EU KOM, Leitlinien Rn. 196].

So verwundert es auch nicht, dass derartige vertikale Preisbindungen schon ganz grundsätzlich als Kernbeschränkung betrachtet werden und nicht in den Genuss einer allgemeinen Kartellfreistellung nach der europäischen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen kommen. 

In der Regel zulässig sind hingegen Höchstpreisbindungen, die jedenfalls im Anwendungsbereich der europäischen Gruppenfreistellungsverordnung freistellungsfähig sind. Ebenfalls zulässig sind zudem unverbindliche Preisempfehlungen, sofern sich diese nicht infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen tatsächlich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken.

Doch Vorsicht! Das Kartellverbot kennt keine Schwerkraft. Seine vertikale Wirkung verläuft in unserem Fall nicht nur von oben nach unten, sondern auch in umgekehrte Richtung. Ein gutes Beispiel hierfür sind sogenannte Meistbegünstigungsklauseln, die zwar nicht automatisch kartellrechtswidrig sind, die allerdings aufgrund der ergangenen komplexen Entscheidungspraxis in ihrer Beurteilung durchaus herausfordernd sind. Hierbei handelt es sich um Absprachen, bei denen ein Hersteller einem Händler zusagt, seinen Händlerwettbewerbern keine günstigeren Konditionen zu gewähren als ihm. Auch derartige Absprachen sind grundsätzlich geeignet, den freien Wettbewerb zulasten des Endkunden einzuschränken.

Anders als bei horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen können mit vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen auch positive Effekte einhergehen, die ihr Bestehen rechtfertigen können. Anschaulich wird das am Fall einer Problematik, die vom Bundeskartellamt als „Trittbrettfahrer-Problem“ bezeichnet wird und in Einzelfällen als Rechtfertigung einer vertikalen Preisabsprache akzeptiert wird. Diese Problematik zeigt sich besonders in Branchen mit stationärem Vertrieb, in denen ein Kunde zur Wahl eines geeigneten Produktes eine besondere Beratungsleistung benötigt. Findige Kunden suchen oftmals zunächst ein Fachgeschäft auf, um eine Fachberatung in Anspruch zu nehmen. Sie erwerben das gewünschte Produkt dann aber online bei einem anderen Anbieter, der aufgrund der günstigeren Onlinekostenstruktur in der Lage war, deutlich günstigere Preise anzubieten. In bestimmten Fällen seien daher Mindestpreisvereinbarungen über eine Einzelfallfreistellung zur Vermeidung eines Trittbrettfahrerproblems zulässig. Nach der Auffassung der Europäischen Kommission muss der Lieferant für eine Einzelfreistellung nachweisen, dass die Gefahr des Trittbrettfahrens tatsächlich besteht, dass die Preisbindung genügend Anreize für Investitionen in Beratungsdienste vor dem Verkauf bietet und dass keine realistischen, weniger restriktiven Alternativen bestehen. Auch nach den Äußerungen des Bundeskartellamts können vertikale Preisbindungen im Einzelfall beispielsweise dann zulässig sein, wenn sie zur Verbesserung der jeweiligen Warenerzeugung unerlässlich sind. Eine vertikale Preisbindung wie sie im wahrsten Sinne des Wortes „im Buche steht“ hat schließlich auch der deutsche Gesetzgeber aus Kulturschutzgründen mit der nationalen Bereichsausnahme des Buchpreisbindungsgesetzes (BuchPrG) in Gesetzesform gegossen.

Ob die positiven Effekte einer Preisbindung zweiter Hand als sachliche Rechtfertigung greifen oder ob es sich um einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen das Kartellverbot handelt, sollte also mit Blick auf Produkt und Branche im Einzelfall durch einen Kartellrechtsanwalt beurteilet werden. Gerne stehen wir Ihnen hierfür zur Verfügung!

Dr. Christian Müller

Rechtsanwalt

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