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Anforderungen an die Vorsatzanfechtung erneut erhöht

Aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs

Mit dem Urteil vom 10.02.2022 (IX ZR 148/19) hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Fortsetzung seiner Rechtsprechung vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20) entschieden, dass einem Anfechtungsgegner, der nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kennt, in der Regel der für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners fehlt.

Bereits in der Entscheidung vom 06.05.2021 hatte der BGH die Anforderungen an den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners erhöht: Danach muss der Schuldner zumindest bei sogenannten kongruenten Deckungen wissend oder billigend in Kauf nehmen, seine Gläubiger auch zukünftig nicht bezahlen zu können. Eine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist nur dann anzunehmen, wenn dieser weiß, dass es weitere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner auch in Zukunft nicht vollständig beglichen werden können.

In dem Urteil vom 10.02.2022 konstituiert der BGH nun eine sekundäre Beweislast für den Insolvenzverwalter, wenn der Anfechtungsgegner einen Umstand beweist, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen auch nur als möglich erscheinen lässt.

Sachverhalt

Die Anfechtungsgegnerin betreibt eine Spedition und erbrachte für die Schuldnerin seit 2004 regelmäßig Transportdienstleistungen. Bereits im Jahr 2013 stellten eine Krankenkasse sowie das Finanzamt einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin. Beide Anträge wurden durch Drittzahlungen zur Erledigung gebracht. In den Jahren 2014 und 2015 war das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Anfechtungsgegnerin durch eine dauerhafte schleppende Begleichung der Forderungen gekennzeichnet. Es wurden regelmäßig Mahnungen versendet. Die Androhung rechtlicher Schritte wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt umgesetzt. Nach Insolvenzeröffnung wurden die Zahlungen aus den Jahren 2014 und 2015 angefochten. 

Die Antragsgegnerin wurde vom Landgericht zur Zahlung verurteilt. Die Berufung der Anfechtungsgegnerin hatte keinen Erfolg. Der BGH hat diese Entscheidungen aufgehoben und die Klage abgewiesen. 

Begründung der Entscheidung

Das BGH geht zunächst auf das Erfordernis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners ein. Er bekräftigt seine jüngere Rechtsprechung, wonach der Schuldner wissen muss, auch künftig seine Forderungen nicht begleichen zu können.

Ferner konstituiert der BGH eine sekundäre Beweislast für den Insolvenzverwalter in Bezug auf die Fortdauer der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit. In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, wonach der Anfechtungsgegner die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen nach einer Zahlungseinstellung zu beweisen hatte, trägt der Insolvenzverwalter die sekundäre Beweislast, wenn der Anfechtungsgegner einen Umstand darlegt, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen auch nur als möglich erscheinen lässt. Dies ist etwa anzunehmen, wenn die Verbindlichkeit, deren Nichtbedienung die Feststellung der Zahlungseinstellung trägt, nicht mehr herangezogen werden kann. Zur Erfüllung der sekundären Beweislast muss der Insolvenzverwalter zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten vortragen. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die klagende Insolvenzverwalterin die Zahlungseinstellung auf die Insolvenzanträge aus dem Jahr 2013 gestützt. Da die zugrunde liegenden Forderungen erfüllt wurden, konnte diese jedoch nicht mehr anspruchsbegründend herangezogen werden.

Der BGH führt weiterhin in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung aus, dass Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, nicht mehr für eine Zahlungseinstellung ausreichen. Es sind zusätzliche Umstände erforderlich, die ein derartiges Gewicht erreichen, das einer Erklärung des Schuldners entspricht, zahlungsunfähig zu sein. Derartige Umstände wurden in dem zugrunde liegenden Fall nicht vorgetragen.

Da mithin ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin jedenfalls nicht auf eine Zahlungseinstellung und die damit einhergehende Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit gestützt werden konnte, verneint der BGH auch die Kenntnis der Anfechtungsgegnerin vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Der BGH bekräftigt, dass der Anfechtungsgegner allein aus dem Zahlungsverhalten ihm gegenüber in der Regel nicht auf das sonstige Zahlungsverhalten des Schuldners schließen könne. Damit fehle es dem Anfechtungsgegner an den erforderlichen Kenntnissen, die jedoch zur Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich sind.

Fazit

Der BGH verbessert erneut die Chancen der Anfechtungsgegner, Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters erfolgreich abzuwehren.

Der Anfechtungsgegner kann vortragen, dass die Verbindlichkeit, deren Nichtbedienung die Feststellung der Zahlungseinstellung trägt, nicht mehr herangezogen werden kann, etwa weil die Verbindlichkeit inzwischen bezahlt wurde. Dem Verwalter obliegt es dann, weitere Verfehlungen des Schuldners im Zahlungsverhalten aufzuzeigen. Da verzögerte Zahlungen auf Verbindlichkeiten des Anfechtungsgegners nicht genügen, muss der Insolvenzverwalter z.B. auf Mahn- oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers oder auf die existenzielle Bedeutung der Leistung des Gläubigers für den Schuldnerbetrieb verweisen.

Insbesondere die sogenannten nicht institutionellen Gläubiger, denen in der Regel nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihnen gegenüber bekannt ist und die keinen Vollstreckungsdruck ausgeübt haben, werden künftig erfolgreich einwenden können, keine Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gehabt zu haben.

Am 03.03.2022 verkündete der BGH zwei weitere, bisher unveröffentlichte Entscheidungen zu dem Thema Vorsatzanfechtung. Die Aktenzeichen lauten IX ZR 78/20 und IX ZR 53/19.

Jessica Kießling

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht

Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

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