Nicht immer ist die Person, die alle wesentlichen Belange eines Unternehmens steuert, als Geschäftsführer bestellt und im Handelsregister entsprechend eingetragen. Denkbar ist beispielsweise, dass ausschließlich der Prokurist die Geschäfte der GmbH eigenständig führt, während der Geschäftsführer selbst nicht in Erscheinung tritt. Nimmt eine solche Person in einer GmbH die Geschäftsführungsaufgaben wahr, ohne dass sie förmlich als Geschäftsführer bestellt ist, kann es sich um einen faktischen Geschäftsführer handeln.
Gesetzliche Regelungen für faktische Geschäftsführer fehlen. Literatur und Rechtsprechung haben deshalb einen umfangreichen Katalog von Kriterien entwickelt, um eine Person als faktischen Geschäftsführer zu klassifizieren. Entscheidend ist, dass diese Person in der Gesellschaft eine überragende Stellung einnimmt. Dies messen Literatur und Rechtsprechung daran, wie viele und welche Aufgaben im Kernbereich der Geschäftsführung (Bestimmung der Unternehmenspolitik, Unternehmensorganisation, Einstellung von Mitarbeitern, Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern, Verhandlung mit Kreditgebern, Gehaltshöhe, Entscheidung der Steuerangelegenheiten, Steuerung der Buchhaltung) die Person übernommen hat. Eine gängige Faustformel lautet, dass bei einer Übernahme von mindestens sechs dieser acht Funktionen eine faktische Geschäftsführung vorliegt.
Den faktischen Geschäftsführer treffen – auch wenn er nicht im Handelsregister eingetragen ist – dieselben Pflichten wie einen formal ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer. So ist der faktische Geschäftsführer insbesondere auch für die Abführung von Sozialabgaben oder die Stellung eines Insolvenzantrags in der Krise der Gesellschaft verantwortlich.
Nicht abschließend entschieden war bisher die Frage, ob ein faktischer Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft wie ein formal bestellter Geschäftsführer haftet. Das OLG München hat hierzu kürzlich entschieden, dass ein faktischer Geschäftsführer, der pflichtwidrig zu Lasten der von ihm vertretenen GmbH handelt, wie ein Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG haftet. Er muss der Gesellschaft den durch sein Handeln entstandenen Schaden ersetzen. Das OLG München war der Ansicht, dass sich jemand, der faktisch wie ein Organmitglied auftritt, als Konsequenz seines Verhaltens auch wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied verantworten muss:
OLG München, Urteil vom 23. Januar 2019, Az.: 7 U 2822/17.
Tipp: Es ist damit erforderlich, klare Strukturen in einer GmbH zu schaffen. Insbesondere sollten Prokuristen und leitende Mitarbeiter darauf achten, nicht die wesentlichen Aufgaben des Geschäftsführers zu übernehmen. Andernfalls droht ungewollt eine zivil- und strafrechtliche Haftung.