Betriebsräte versuchen es immer wieder (erfolglos). Trotz Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) bleibt es dabei: Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Überlassung von Entgeltlisten. Er hat lediglich ein Recht auf Einsichtnahme.
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23.10.2018 – 8 TaBV 42/18 (ArbG Düsseldorf 6.7.2018 – 11 BV 47/18), BeckRS 2018, 36105
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin bietet Dienstleistungen in den Bereichen Mobilfunk, Festnetz und Breitbandinternet an. Anfang des Jahres 2018 begehrten etliche Beschäftigte Auskunft nach dem EntgTranspG. Die Arbeitgeberin erteilte die entsprechenden Auskünfte und setzte den Betriebsrat über die eingehenden Anfragen und erteilten Auskünfte in Kenntnis. Zudem gewährte sie dem Betriebsrat Einsicht in die nach Geschlecht aufgeschlüsselten Bruttolohn- und -gehaltslisten der Beschäftigten.
Dem Betriebsrat genügt dies nicht, vielmehr verlangt er neben der Einsichtnahme auch die physische Überlassung der Entgeltlisten. Er ist der Auffassung, zur Erfüllung seiner Aufgaben habe er gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG das Recht, die Bruttoentgeltlisten auszuwerten. Unter Auswertung sei die Verarbeitung i. S. d. § 3 IV a. F. BDSG, Art. 4 Nr. 2 DSGVO zu verstehen. Dies sei ohne physische Überlassung der Entgeltlisten nicht möglich.
Entscheidung
Das Arbeitsgericht wies den Leistungsantrag des Betriebsrats zurück. Der Wortlaut des § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG und die Gesetzesbegründung sprechen dafür, dass sich an der bisherigen Rechtslage zu § 80 BetrVG nichts ändern soll. Die Aufführung des Begriffs „einzusehen“ ist sinnlos, wenn mit „verarbeiten“ dann doch gemeint sein soll, die Bruttoentgeltlisten auszuhändigen.
Auch das Landesarbeitsgericht schließt sich dieser Auffassung an, dass das EntgTranspG dem Betriebsrat an keiner Stelle einen Überlassungsanspruch einräumt. § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG spreche lediglich von einem Recht, die Entgeltlisten „einzusehen“. Spiegelbildlich verpflichtet § 13 Abs. 3 EntgTranspG die Arbeitgeberin zur Gewährung von „Einblick“ in die Listen. Das korrespondiert mit der in Bezug genommenen Spezialregelung des § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, wonach der Betriebsausschuss berechtigt ist, in die Entgeltlisten „Einblick zu nehmen“. „Einsicht“ bzw. „Einblick“ verlangen jedoch keine Einräumung einer dauerhaften physischen Verfügungsgewalt über die Entgeltlisten. Auch das dem Betriebsausschuss gewährte Recht zur Auswertung der Entgeltlisten führt nicht zu einem solchen Überlassungsanspruch. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist unter „auswerten“ zu verstehen, dass Unterlagen im Hinblick auf ihre Aussagekraft überprüft werden sollen. Eine Auswertung in diesem Sinne setze nicht eine zeitlich unbeschränkte Verfügungsgewalt über die zu prüfende Unterlage voraus; vielmehr lassen sich auch aus bloß zu sichtenden Quellen entsprechende Informationen herauslesen.
Praxishinweise
Die Argumentation des Betriebsrates ist kreativ. Er stützt seinen Anspruch unter anderem auf § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, wonach ihm auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind. Durch die Schaffung des EntgTranspG sind diese Aufgaben erweitert worden, weil er ausdrücklich in die Pflicht zur Förderung der Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern im Betrieb und zur Überwachung der normierten speziellen Diskriminierungsverbote eingebunden wurde. Hierfür wurde ihm das Recht eingeräumt, die Entgeltlisten „auszuwerten“.
Jetzt kommt es: „Auswerten“ soll in größeren Betrieben jedoch nur möglich sein, wenn er die Entgeltlisten auch tatsächlich in den Händen halten und mitnehmen dürfe. Anderenfalls sei ihm die Aufgabenerfüllung faktisch unmöglich.
Gut, einen Versuch war es wert. Überzeugend ist diese Argumentation jedoch nicht.
In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11133 Seite 63) wird eine Überlassung der Entgeltlisten in physischer Form an den Betriebsausschuss nicht verlangt. Der Betriebsausschuss soll lediglich Einblick erhalten und sich Notizen machen können. Andernfalls soll er seine gesetzliche Aufgabe nicht erfüllen können. § 13 Abs. 3 Satz 3 EntgTranspG verlangt lediglich, dass die Entgeltlisten vom Arbeitgeber so aufbereitet werden, dass der Betriebsausschuss nach seiner Einsichtnahme eine ordnungsgemäße Auskunft gegenüber den Beschäftigten erteilen kann. Der Betriebsausschuss muss daher insbesondere das erfragte Vergleichsentgelt nach § 11 Abs. 2 EntgTranspG auf Basis der aufbereiteten Entgeltlisten ermitteln können.
Es bleibt abzuwarten, ob sich das Bundesarbeitsgericht den Vorinstanzen anschließt oder statt dessen die kreative Argumentation des Betriebsrates aufgreift und nachher der Arbeitgeber das Nachsehen hat. In jedem Fall heißt es für Arbeitgeber: Augen auf beim Lesen der Gesetzestexte und nicht ins Bockshorn jagen lassen!